FÄHRT COVID-19 JETZT IMMER MIT?

CORONA UND DER VERKEHR

Covid-19 hat den Verkehr in Österreich und das Mobilitätsverhalten der Österreicher massiv beeinflusst. Weniger Touristen, weniger Pendler, weniger Autos und weniger Menschen auf den Straßen beeinträchtigten auch den Umsatz von Unterwegsversorgern. Aber was bleibt davon? Was wird Covid-19 hinsichtlich der allgemeinen Mobilität auf Dauer verändern? Und wie können sich Unterwegsversorger darauf einstellen?

Teilweise war es gespenstisch. Leere Autobahnen, Busse, Züge, Straßenbahnen und U-Bahnen. Versperrte Geschäfte und nur vereinzelt Menschen auf den Straßen. Das Corona-Virus fegte nicht nur die Straßen leer, sondern veränderte auch das Mobilitätsverhalten der Österreicher. Nie zuvor traten so viele Österreicher in die Pedale ihrer Fahrräder, gingen zu Fuß oder blieben überhaupt zu Hause. Wer nicht im Homeoffice war, fuhr zwar – wenn möglich – mit dem eigenen Auto zum Arbeitsplatz, insgesamt aber nahmen der Individual- und Güterverkehr mit dem Auto bzw. Lkw und auch die Fahrgastzahlen in den öffentlichen Verkehrsmitteln deutlich ab. Die Klimaministerin freut sich, denn der CO2-Ausstoß ging dadurch laut dem Bericht eines internationalen Forscherteams in der Fachzeitschrift „Nature Climate Change“ um etwa ein Sechstel zurück. Für Österreich prognostiziert das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) über das ganze Jahr gesehen immerhin noch 7,1 % weniger CO2-Emissionen gegenüber dem Vorjahr. Die Wirtschaftsministerin, die Tourismusministerin und der Finanzminister freuen sich weniger. Denn geschlossene Geschäfte und geschlossene Grenzen bedeuten weniger Umsatz, weniger Touristen im Land, weniger Steuereinnahmen sowie mehr Konkurse und mehr Arbeitslose.

Heimaturlaub boomt

Zeitweise kam der Tourismus völlig zum Erliegen. Besonders der Städtetourismus leidet immer noch stark. Gut gelegene Hotels und Pensionen am Land, insbesondere an Seen, waren im Hochsommer jedoch schon wieder recht gut gebucht. Hauptverantwortlich dafür sind Österreicher, die – notgedrungen oder freiwillig –  Urlaub in ihrer Heimat machten. Notgedrungen deswegen, weil entweder die Grenzen zum ursprünglich geplanten Urlaubsland geschlossen waren, Flüge abgesagt wurden, eine Reisewarnung des Außenministeriums bestand oder einfach die Angst vor einer Ansteckung im Ausland größer war als im Inland. Laut einer Online-Umfrage des VKI (Verein für Konsumenteninformation) planten vor Covid-19 nur knapp 25 % aller Österreicher, ihren Urlaub in Österreich zu verbringen. Durch Covid-19 gaben jedoch beinahe die Hälfte aller Befragten an, auf eine alternativ mögliche Destination, wie zum Beispiel Österreich, auszuweichen. 20 % wollten ihren Urlaub verschieben, 23 % den Urlaub zu Hause verbringen und 6 % ganz darauf verzichten. Das war für die Tourismuswirtschaft eine erfreuliche Nach-
richt. Die unerfreuliche war, dass die Touristen aus dem Ausland von März bis Mai fast komplett und danach zu einem großen Teil ausblieben. Die heimischen Inlandstouristen konnten den Ausfall der ausländischen Touristen nicht vollkommen ausgleichen.

Nachhaltiger Heimaturlaub
ist voll im Trend.

Nachhaltigkeit ist ein Thema

Interessant aus touristischer Sicht ist die Tatsache, dass sich Destinationen mit nachhaltigen Urlaubsangeboten besonders gut behaupten können. So lassen sich unter den ersten vier Antworten zur Frage, was beim Urlaubsziel wichtig ist, gleich drei nachhaltigkeitsrelevante Merkmale finden. An erster Stelle steht „intakte natürliche Gegebenheiten, wie Naturlandschaften oder Nationalparks“, gefolgt von „Ruhe“ und „die Destination positioniert sich selbst als nachhaltig“. Im „Nachhaltigkeit im Tourismus“-Report 2013 war Nachhaltigkeit noch kein zentrales Motiv der Reiseentscheidung. Sieben Jahre später scheint sich dies geändert zu haben. Das freut auch Bundesministerin Gewessler, die im Juli gegenüber ORF.at erklärte: „Die Klimakrise spüren wir aktuell sehr deutlich: trockene Wiesen und Felder, immer extremere Hitzetage, unterbrochen von Unwettern und Überschwemmungen. Auch der Tourismus leidet darunter, wenn beispielsweise der Wasserstand im Neusiedler See so niedrig wird, dass man dort nicht mehr schwimmen oder segeln kann.“ Die Schlussfolgerung daraus lautet: Wer nachhaltig reist, schützt die Umwelt sowie das Klima und nicht zuletzt den Tourismus selbst

Verkehr nahm ab und wieder zu

Doch was bedeutet dies alles für den Verkehr? Eine Befragung des KFV (Kuratorium für Verkehrssicherheit) ergab, dass mehr als zwei Drittel (69,4 %) der Autofahrer in Österreich während des Lockdowns nach eigenen Angaben seltener oder nie mit dem Pkw unterwegs waren, beim Mitfahren waren es beinahe 85 %. Laut ASFINAG hat der allgemeine Lockdown während der Corona-Krise bundesweit für einen Rückgang des Gesamtverkehrs um 23 % im ersten Halbjahr gesorgt. 

Der Schwerverkehr liegt im gleichen Zeitraum bei einem Minus von etwa acht Prozent. Rund um die Ballungsräume hat sich der Verkehr jedoch bis Ende Juni auf das Niveau vom März, also vor Beginn des Lockdowns, normalisiert. „Der Trend zeigt, dass sich vor allem Berufs- und Pendlerverkehr im Bereich der großen Städte normalisiert haben“, bestätigt ASFINAG-Vorstand Josef Fiala. Ein Grund für die doch überraschende Normalisierung des Pkw-Individualverkehrs in Ballungszentren könnte sein, dass die vielen Pendler, die in den Städten arbeiten, aus Corona-Vorsicht lieber mit dem eigenen Auto zur Arbeit fahren als mit öffentlichen Verkehrsmitteln, wie Bus, Zug, Straßenbahn oder U-Bahn. Das bestätigen auch die Fahrgastzahlen der Wiener Linien, wo selbst im Juni, schon lange nach Aufhebung der Lockdown-Maßnahmen, nur 60 % der üblichen Anzahl an Fahrgästen gezählt wurden. Ganz anders als in den Ballungsräumen ist die Situation im Pkw-Reiseverkehr. Nach dem Ferienbeginn in West- und Südösterreich hat der ÖAMTC beispielsweise noch nie so wenig Reiseverkehr auf den österreichischen Autobahnen verzeichnet. Auch der Transitverkehr hat entsprechend abgenommen, da Grenzen zu Nachbarländern geschlossen waren oder Reisende Angst hatten, nach ihrem Urlaub aus dem Zielland nicht mehr ausreisen zu können. Welchen Einfluss auf den Verkehr die Einstellung von AUA-Flügen auf Kurzstrecken, die unter drei Stunden auch mit der Bahn erreichbar sind, haben wird, ist noch schwer abschätzbar. Diese im Juni getroffene Vereinbarung zwischen der österreichischen Regierung und der AUA-Mutter Lufthansa ist unter anderem auch eine Folge von Covid-19 und war Teil des Rettungspakets für die wirtschaftlich schwer angeschlagene österreichische Fluglinie. Die Flüge von Salzburg nach Wien und retour wurden bereits gestrichen. Flugstreichungen von und nach Linz und Graz sollen folgen. Es ist zu erwarten, dass sich ein Teil des ehemaligen innerösterreichischen Kurz-
strecken-Flugverkehrs auf die Schiene, der andere Teil auf die Straße verlagern wird.

Mobilitätsverhalten ändert sich

Covid-19 allein verändert das Mobilitätsverhalten der Österreicher nur kurzfristig. Mittel- und langfristig ist die Änderung in der Einstellung und Nutzung von privaten und öffentlichen Verkehrsmitteln ein Mix aus den Einflussfaktoren Klimabewusstsein, Nachhaltigkeitssensibilität und Corona-Erfahrung. Auch ohne Auftreten von Covid-19 ist schon seit mehreren Jahren eine Mobilitätsverhaltensänderung in Österreich sichtbar. Die Corona-Erfahrung dynamisiert diese Entwicklung. So wird beispielsweise ein Teil all jener Radfahrer, die während der Corona-Krise das Rad als schnelles Stadttransportmittel für sich entdeckt haben, bei einer häufigeren Nutzung dieses Verkehrsmittels bleiben. Der Ausbau der städtischen Radinfrastruktur, wie er beispielsweise in Wien voran- getrieben wird, unterstützt dieses klimafreundliche und nachhaltige Ziel. Der für Wien ausgewiesene Radanteil von 7 % am Gesamtverkehrsaufkommen soll demnach schon bald auf 10 % ansteigen. Weiters hat sich im Gegensatz zu früher bei vielen Jugendlichen die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein privates Auto nicht das höchste aller Ziele sein muss. Carsharing, Mietwagen oder öffentliche Verkehrsmittel (Bahn, Bus) erfüllen für sie die gewünschten Transportfunktionen zu entfernter gelegenen Zielen ebenso komfortabel und zumeist auch noch billiger. Innerstädtisch bewegen sich diese Jugendlichen zu Fuß, mit dem Rad, mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder alternativen Transportmitteln, wie zum Beispiel E-Scootern oder Leihrädern. Am Land ist das naturgemäß noch etwas anders, weil die Entfernungen größer und die öffentlichen Verkehrsmittelangebote nicht so vielfältig und komfortabel sind. 

Doch auch immer mehr Pendler verwenden das eigene Auto nicht mehr für die gesamte Strecke zur Arbeit und retour, sondern nur für die Teilstrecke von zu Hause zum nächsten Bahnhof oder Park-and-ride-Parkplatz und retour. Das hat auch finanzielle Gründe. Sollte das im Gespräch befindliche 1-2-3-Ticket* für öffentliche Verkehrsmittel in ganz Österreich tatsächlich Realität werden, könnte sich der Anteil der Teilstrecken-Autofahrer bzw. Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel noch erhöhen. Die Covid-19-Pandemie hat den Trend zum Verkehrsmittel-Splitting nur kurzfristig unterbrochen.

Innerstädtisch nützt die Jugend alternative Transportmittel, wie z. B. E-Scooter.

Das 1-2-3-Ticket soll ab 2021 schrittweise in Österreich eingeführt werden. 1-2-3 bedeutet dabei, dass man beim Kauf entsprechender Normal-Jahreskarten um 1 Euro pro Tag in einem Bundesland, um 2 Euro pro Tag in zwei Bundesländern und um 3 Euro pro Tag in ganz Österreich alle öffentlichen Verkehrsmittel nutzen darf.

Die Mobilitätswende
ist elektrisch

Langsam, aber stetig steigt auch der Anteil an elektrisch betriebenen Fahrzeugen in Österreich. Waren es 2014 nur knapp über 1.000 Neuzulassungen, wurden 2019 schon über 9.000 E-Pkw in Österreich neu gekauft. Insgesamt fahren derzeit fast 30.000 Elektro-Autos auf Österreichs Straßen. Das entspricht aber nur einem Anteil von knapp 0,6 % am Gesamtfahrzeugbestand in Österreich. Im ersten Halbjahr 2020 betrug der Anteil an neu zugelassenen E-Pkw am Gesamtmarkt jedoch schon 4,3 %. Die Gründe für die immer noch bestehende Kaufzurückhaltung für E-Pkw sind vielfältig. So hinkt beispielsweise die durchschnittliche Reichweite, die mit Strom betriebenen Autos derzeit erzielt werden kann, den Ansprüchen der meisten Autofahrer noch hinterher. Auch die Anzahl an verfügbaren Ladestationen ist noch begrenzt und die Ladevorgänge dauern vergleichsweise lange. Und schließlich hat sich die Vorteilhaftigkeit der Elektromobilität in den Köpfen der Verbraucher noch nicht entscheidend durchgesetzt. Zu viele Fragen, wie jene nach der Umweltbelastung durch den Abbau von Silizium oder der Entsorgung von Altbatterien, sind noch nicht befriedigend beantwortet. Das Antriebsmatch der Zukunft – Wasserstoff gegen Elektrizität – scheint ebenfalls noch nicht endgültig entschieden, auch wenn es von politischer Seite her ein eindeutiges Bekenntnis zur Förderung der E-Mobilität gibt. Kern dieses Bekenntnisses ist eine massive Erhöhung der Bundesförderung für E-Fahrzeuge und der zugehörigen Ladeinfrastruktur. So erhalten Käuferinnen und Käufer eines E-Pkw seit 1. Juli 2020 5.000 Euro Förderung statt bisher 3.000 Euro. Bei der Ladeinfrastruktur verdreifachte das Klimaschutzministerium die Förderung. Käufer einer Heimladestation werden mit 600 Euro unterstützt (statt bisher 200 Euro), für Ladestationen in Mehrparteienhäusern gibt es sogar 1.800 Euro. Klimaschutzministerin Gewessler dazu: „Wir wollen am Weg aus der Corona-Krise in die Zukunft investieren. Genau das schaffen wir mit der Offensive für E-Mobilität. Mit der stark erhöhten Förderung für E-Fahrzeuge sorgen wir für regionale Wertschöpfung und leisten einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. So arbeiten wir Schritt für Schritt an der Mobilitätswende.“

Was heißt das
für Unterwegsversorger?

Ausgenommen in Ausnahmesituationen, wie zum Beispiel Ausgangssperren, bleiben die Menschen auch in den nächsten Jahrzehnten mobil. Nur die Art der Mobilität verändert sich. Das Angebot an öffentlichen und privaten Fortbewegungsmitteln wird vielfältiger, das Bewusstsein für umweltschonende Transportmittel steigt und Nachhaltigkeit ist ein immer wichtiger werdendes Thema. Die Fahrten mit dem eigenen benzinbetriebenen Auto zur Arbeit, zum Einkauf oder einfach zum Vergnügen werden abnehmen. Eine deutliche Zunahme des Anteils an reichweitenstarken E-Pkw könnte diesen Trend wieder abfedern. Die Versorgung mobiler Menschen mit Essen, Trinken, Antriebsstoffen (Benzin, Gas, Wasserstoff, Elektrizität) und vielem mehr wird immer gefragt sein. Unterwegsversorger müssen sich jedoch auf die Veränderungen rechtzeitig einstellen. Zum Beispiel Tankstellen auf die voraussichtlich steigende Nachfrage nach alternativen Fahrzeug-Betriebsmitteln und Tankstellenshops auf das Ernährungsbewusstsein und den nachhaltigen Konsum. Oft sind es nur kleine Dinge, wie ein durchdachtes Abfallmanagement, frische und regionale Warenangebote, ein gesunder Mittagsteller oder natürlich abbaubare To-go-Verpackungen, auf die die Kunden von morgen schauen. Und das schon ab heute. Covid-19 hat die Sicht auf diese Dinge zwar nicht hervorgerufen, aber deutlich geschärft.

INTERVIEW MIT HERMANN KNOFLACHER

Zivilingenieur und Professor emeritus am Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der Technischen Universität Wien

Dein Shop Plus: Herr Knoflacher, kurzfristig hat Covid-19 die Straßen in Österreich leer gefegt. Wird durch Corona der Verkehr in Österreich aber auch langfristig beeinflusst?

Knoflacher: Leider wird alles unternommen, um wieder zum Status quo zurückzukehren. Es wird damit eine große Chance vertan, aus den fossilen Antriebsstoffen auszusteigen, den Bau der dritten Landepiste in Schwechat abzusagen und Straßenbauprojekte der hoch verschuldeten ASFINAG zu stoppen.

Dein Shop Plus: Viele Menschen lernten im Zuge des Lockdowns die Arbeit im Homeoffice kennen und wollen das auch zumindest zum Teil beibehalten. Einige Großunternehmen tragen diesem Wunsch bereits Rechnung. Wirkt sich das nicht auf den Verkehr aus?

Knoflacher: Ja, das ist tatsächlich eine der positiven Auswirkungen der Krise, um den Autoverkehr zu verringern. Die physische Anwesenheit in einem Büro ist oft nicht notwendig. Neben der physischen Mobilität existiert aber auch noch die geistige Mobilität, die bei Mobilitätsdebatten oft ausgeklammert wird. Viele verstehen unter Mobilität nur jene, die gemessen werden kann, wie zum Beispiel die Anzahl der zurückgelegten Wege mit dem Auto etc. Viel wichtiger wäre es, die geistige Mobilität der Menschen zu stärken, Umbaumaßnahmen für öffentliche Räume zu

initiieren und die Verstädterung des Landbereichs zu stoppen. Der Mensch war geistig mobil genug, um zu wissen, wie man Pflanzen züchtet und Tiere domestiziert.

Dein Shop Plus: Die Regierung unterstützt derzeit massiv den Kauf von Elektro-Fahrzeugen. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

Knoflacher: Damit wird kein Problem gelöst. Rechnet man alle Komponenten der Herstellung und Entsorgung von E-Fahrzeugen mit ein, ist die Umweltbelastung gleich hoch wie bei Fahrzeugen mit fossilen Antriebsstoffen. Der Individualverkehr wird damit auch nicht reduziert. Aber auch der Güterverkehr ist ein großes Problem. Eine Wirtschaft, die immer mehr Kilometer zurücklegen muss, um ein Gut von A nach B zu transportieren, ist umweltschädlich. Es geht für eine lebenswerte Zukunft darum, den Autoverkehr einzudämmen. Denn der Autoverkehr kostet auch Arbeitsplätze. Zu Supermärkten, Baumärkten und Einkaufszentren außerhalb der Städte gehen die Leute nicht zu Fuß oder fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern mit dem Auto. Das Geld kommt also aus der Stadt, kleine Geschäfte müssen zusperren, Arbeitsplätze gehen verloren.

Dein Shop Plus: Herzlichen Dank für das Interview.